Den Redebeitrag haben wir anlässlich der Kundgebung „Unsere Antwort auf Corona heißt Solidarität“ am 6.6.2020 gehalten.
Die Corona-Krise wirkt wie ein Brennglas auf Probleme und Missstände, die ohnehin schon da waren, aber an Ausmaß und Intensität durch sie zugenommen haben. Soziale Missstände und Gewalt verschärfen sich, und gleichzeitig brechen Strukturen weg, die diese zuvor, zumindest in Teilen, aufgefangen haben. Besonders betroffen sind dadurch Menschen, die im Vorfeld bereits betroffen waren – Menschen in prekären Lebenslagen, ohne festen Wohnsitz oder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Auch diejenigen, die seit Jahrtausenden unter dem Patriarchat zu leiden haben, spüren die Corona-Folgen besonders. Die Rede ist von FLINT*.
Ein Ärgernis, welches seit Jahren durch patriarchale Strukturen gestützt wird und während der Corona-Krise nochmals verschärft wurde, ist der Umgang mit Care Arbeit. Care Arbeit bedeutet übersetzt „Fürsorge-Arbeit“ und bezeichnet Arbeit wie kochen, putzen, Kinder erziehen, alte und kranke Menschen versorgen und pflegen. Berufe, in denen diese Arbeit ausgeübt wird – Erzieher_innen, Reinigungskräfte, Pflegepersonal – sind alle schlecht bezahlt und werden weitestgehend von FLINT* ausgeführt. Hier spiegelt sich die Struktur einer Gesellschaft wieder, die notwendige Arbeit weniger anerkennt und würdigt als die von Anzugträger_innen in ihren Büros. Zumeist wird Care-Arbeit ausgeübt, ohne, dass diese bezahlt wird und häufig, ohne, dass sie überhaupt als Arbeit angesehen wird. Das problematische ist, dass die Erledigung von unbezahlter Care-Arbeit als selbstverständlich betrachtet wird. Sie gilt als natürlich und wird unter diesem Druck oft auch so ausgeführt. In der kapitalistischen Welt in der wir leben, besteht jedoch zusätzlich auch noch der Zwang,lohnarbeiten gehen zu müssen. Für viele bedeutet dass nun, neben der unbezahlten Care-Arbeit noch viele Stunden in der Woche in einem Job eingespannt zu sein. Bei unbezahlter Care-Arbeit gibt es zudem auch weder Feierabend noch Urlaub oder Krankheitstage. So entsteht eine enorme Belastung, deren Verweigerung als egoistisch gilt oder dazu führt, als „unfähig“ angesehen zu werden. Als zu Beginn der Pandemie viele Menschen ins Home-Office geschickt wurden, hat sich für berufstätige FLINT*, insbesondere mit Verantwortung für Kinder, eine Situation ergeben, die eine neue Form der Belastung darstellt. Denn durch die Schließung der Kindergärten und Schulen waren die Kinder den ganzen Tag zuhause und brauchten Betreuung, Aufmerksamkeit und Versorgung. Das alles musste parallel zu der Zeit geleistet werden, in denen Elternteile im Home-Office waren – also eigentlich schon mit Arbeit ausgelastet. Diese Belastung hat dazu geführt, dass sich Betroffene in den sozialen Netzwerken nach einigen Wochen geäußert und ihre Situationen geschildert haben. Die Essenz vieler dieser Äußerungen: Ich kann nicht mehr. Die Schulen sind weiterhin nur sporadisch geöffnet, Arbeit findet weiterhin im Home Office statt. Das alles ist belastend. Das Zuhause ist so kein Ort mehr, an dem das Gefühl von Sicherheit und Ruhe herrscht, sondern wird zum Ort, an dem permanente Beanspruchung abverlangt wird. In der Corona-Krise mit keinen oder kaum Möglichkeiten, dem zu entkommen.
Die Situation von FLINT* in der Care-Arbeit und durch häusliche Gewalt ist nichts neues. Sie findet dennoch nur sporadisch Gehör. Auch zu Corona-Zeiten hat sich dies nicht großartig geändert. Zwar sind Behörden und Verbände alarmiert, aber diese sind zumeist überlastet oder eine Hürde. Auch die Polizei ist kein Verbündeter im Kampf gegen häusliche Gewalt. Weitere Stigmatisierung oder Retraumatisierung von Betroffenen sind häufige Folgen, wenn die Polizei in Fälle eingeschaltet wird. Nicht selten kommt es auch zu Fällen, in denen Betroffene selbst verantwortlich gemacht werden oder ihnen nicht geglaubt wird. Kommt es zu einer solchen Situation, führt das zu einem verstärkten Gefühl des Allein-gelassen-werdens und des Isoliert-sein. Haben sie vorher ihren Mut zusammen genommen und versucht, sich gegen die Gewalt zu wehren, sind sie nun erneut einem Gefühl der Machtlosigkeit ausgesetzt. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden.
Die Handlungsansätze müssen präventive Arbeit leisten – also kontinuierlich daran arbeiten, dass FLINT* gestärkt und unterstützt werden, Konzepte im Umgang mit Betroffenen und Täter_innen entwickeln und Rollenbilder und damit einhergehende Dominanzverhältnisse analysieren und aufbrechen. Gewalt gegen FLINT* sind keine Handlungen von Einzelnen in einem luftleeren Raum, sondern sind Teil patriarchaler Unterdrückung, wenngleich durch einzelne ausgeführt. Den Nährboden – sprich die patriarchale Grundlage – gilt es, zu beseitigen. Diese Arbeit kann und darf nicht an denen hängen bleiben, die akut betroffen sind, sondern ist Aufgabe von uns allen. Diejenigen, die strukturell von patriarchalen Verhältnissen profitieren, müssen ihre Rolle reflektieren und diese überwinden. Diejenigen, die strukturell durch diese Verhältnisse benachteiligt sind, brauchen empowernde und geschützte Räume und Umfelder. Neben präventiver, kontinuierlicher Arbeit braucht es genauso Handlungsansätze, die konkrete Unterstützung im Sinne Betroffener leisten – diese muss individuell geschehen und kann durch ansprechbare Gruppen unterstützt werden.
Der Kampf gegen Gewalt und Unterdrückung von FLINT* muss auf allen Ebenen vor allem aktiv und offensiv geführt werden. Das haben Erfahrungen aus den letzten Jahrhunderten gezeigt. Das schließt auch ein, diejenigen anzugreifen, die maßgeblich für das Fortbestehen der Verhältnisse verantwortlich sind. Vertreter_innen reaktionärer Positionen, von Rechten bis Abtreibungsgegner_innen, Männerbünde, übergriffige Vorgesetzte. Alle Feinde der Freiheit und der Selbstbestimmung müssen als solche betitelt und dementsprechend muss mit ihnen umgegangen werden.